Systematik der Zuckmücken

Die Familie der Zuckmücken (Chironomidae) umfasst etwa 450 Gattungen, die sich in elf Unterfamilien gliedern. Jede dieser Unterfamilien zeichnet sich durch spezifische morphologische, ökologische und verhaltensbiologische Merkmale aus. Die drei wichtigsten Unterfamilien sind die Chironominae, Orthocladiinae und Tanypodinae. Sie enthalten die meisten einheimischen Arten [1-4].

Chironomiden Systematik Icon.

Chironominae

Die Chironominae sind die größte und bekannteste Unterfamilie der Zuckmücken. Die erwachsenen Mücken dieser Unterfamilie zeichnen sich durch auffallend lange Vorderbeine aus. Diese schwingen sie oft in einer „tänzelnden“ Bewegung hin und her. Wegen dieses charakteristischen Verhaltens werden die Zuckmücken auch „Tanzmücken“ genannt.

Zu den Chironominae zählen Arten, die aufgrund des Hämoglobins in ihrem Blut rötlich gefärbt sind. Dies ermöglicht ihnen das Überleben in sauerstoffarmen Lebensräumen.

Eine besonders bemerkenswerte Art ist Chironomus plumosus, die für ihre Massenschwärme an Seeufern berühmt ist. Eine weitere wichtige Gattung ist Polypedilum mit etwa 450 beschriebenen Arten. Diese Arten kommen in fast allen Gewässertypen vor und besiedeln sowohl Phytotelmata (Kleinstgewässer, die sich in Vertiefungen von Pflanzen bilden) als auch große Seen [3, 5-7].

Merkmale der Unterfamilie:
  • Die größte und artenreichste Unterfamilie der Zuckmücken.
  • Die Larven sind oft rötlich gefärbt, was auf den Hämoglobingehalt ihrer Lymphe zurückzuführen ist.
  • Die Larven leben vorwiegend im Sediment von Gewässern und ernähren sich von Detritus und Mikroorganismen.
Wichtige Gattungen:
  • Chironomus: Bekannt durch die „Blutwürmer“, die auch als Heimtierfutter verwendet werden [5]. Die Gattung wird häufig als Bioindikator für die Wasserqualität verwendet.
  • Polypedilum: Arten dieser Gattung besiedeln Sedimente, Wasserpflanzen und temporäre Gewässer. Polypedilum vanderplanki ist besonders für ihre Fähigkeit zur Kryptobiose bekannt, die es ihr ermöglicht, extreme Umweltbedingungen wie Hitze und Trockenheit zu überleben. Hierzu reduziert sie ihren Stoffwechsel drastisch [8].
  • Cryptochironomus: Diese Gattung kommt häufig in verschmutzten oder nährstoffreichen Gewässern vor [5].

Orthocladiinae

Die Orthocladiinae bilden eine große und artenreiche Unterfamilie der Zuckmücken, die sowohl terrestrische als auch aquatische Lebensräume besiedelt [9]. Einige Arten, wie die der Gattung Clunio, leben sogar im Meer und verbringen den größten Teil ihres Lebens damit, die flügellosen Weibchen in der Brandungszone aufzuspüren [3, 10-12].

Andere Gattungen, wie Symbiocladius, leben parasitisch auf den Nymphen von Eintagsfliegen, von deren Hämolymphe und Gewebe sie sich ernähren [13]. Auch Pflanzen werden von Orthocladiinae bewohnt: Vertreter der weit verbreiteten Gattung Cricotopus leben oft in unmittelbarer Nähe von Wasserpflanzen und ernähren sich von diesen. In tropischen Reisfeldern gelten Cricotopus-Larven als Schädlinge und werden mit Insektiziden bekämpft [14].

Merkmale der Unterfamilie:
  • Große Vielfalt in Lebensweise und Lebensraum.
  • Kommt sowohl in aquatischen als auch in terrestrischen Lebensräumen vor.
  • Häufig in kälteren Fließgewässern.
  • Einige Arten sind reine Landbewohner (z. B. Smittia).
Wichtige Gattungen:
  • Orthocladius: Häufig in kühlen, sauberen Gewässern.
  • Cricotopus: Ernährt sich als Larve von pflanzlichem Material.
  • Symbiocladius: Parasit von Eintagsfliegen-Nymphen.
  • Smittia: Rein terrestrische Gattung.
  • Clunio: Eine marine Gattung, bei der nur die Männchen fliegen können.

Tanypodinae

Die Tanypodinae sind in Deutschland mit fast 30 Gattungen vertreten und besiedeln eine Vielzahl von Gewässertypen. Charakteristisch für diese Unterfamilie sind die freilebenden, überwiegend räuberisch lebenden Larven, wobei es auch Arten gibt, die sich zusätzlich von Detritus (zerfallende Biomasse) ernähren. Obwohl räuberisch lebende Larven auch in den Unterfamilien Chironominae und Orthocladiinae vorkommen, ist dies besonders typisch für die Tanypodinae [3, 4, 15].

Die Larven der Tanypodinae sind leicht an ihrem langen Kopf und den einziehbaren Antennen zu erkennen.

Merkmale der Unterfamilie:
  • Mit ihren gut entwickelten Mandibeln (Mundwerkzeugen) sind die Larven effektive Jäger kleiner wirbelloser Beutetiere.
  • Sie sind hauptsächlich in den Sedimenten von Flüssen und Seen zu finden, wobei sowohl saubere als auch verschmutzte Gewässer besiedelt werden.
  • Die Larven besitzen lange Antennen, die bei Bedarf in den Kopf eingezogen werden können.
Wichtige Gattungen:
  • Procladius: Eine der am weitesten verbreiteten und artenreichsten Gattungen der Tanypodinae. Die Larven entwickeln sich im Sediment langsam fließender oder stehender Gewässer, auch in verschmutzten und sauerstoffarmen Gewässern.
  • Tanypus: Besitzt eine breite ökologische Nische und kommt in verschiedenen aquatischen Lebensräumen vor. Die Larven sind in ihrer Ernährung flexibel und besiedeln sowohl stehende als auch fließende Gewässer.
  • Ablabesmyia: Eine weitere sehr weit verbreitete und artenreiche Gattung. Sie kommt in einer Vielzahl von Lebensräumen vor, besonders häufig in und um große Seen.

Diamesinae

Die Diamesinae ist eine kleine Unterfamilie, die in Deutschland mit acht Gattungen vertreten ist. Sie kommen vor allem in kalten, oft alpinen Gewässern vor. Ihre Larven sind an niedrige Temperaturen angepasst und können auch in Gletscherbächen überleben. Deshalb sieht man sie als erwachsene Tiere schon sehr früh im Jahr über den Schnee fliegen und sie kommen sogar in der Arktis und in Gletschergebieten vor. Nur wenige Gattungen, wie die Gattungen Diamesa und Potthastia, kommen in Fließgewässern niedrigerer Lagen vor [3, 4, 16].

Merkmale der Unterfamilie:
  • Arten kalter, oft alpiner Gewässer.
  • An niedrige Temperaturen angepasst.
  • Kleine, robuste Larven.
Wichtige Gattungen:
  • Diamesa: Leben hauptsächlich in Gletscherbächen und kalten Gebirgsflüssen.
  • Pagastia: Leben in kalten, hochgelegenen Gewässern des Hochgebirges.

Prodiamesinae

Die Unterfamilie Prodiamesinae umfasst nur vier Gattungen. Sie leben meist in Fließgewässern. Ein typischer europäischer Vertreter ist die Art Prodiamesa olivacea [3, 4]. Diese kommt, wenn auch selten, im Oberrheingebiet vor. Die Art reagiert auf verunreinigtes Wasser mit Missbildungen und wird daher auch als Indikator für die Wasserqualität eingesetzt.

Wichtige Gattungen:
  • Prodiamesa: Wichtigste Vertreterin der Gattung ist die Art Prodiamesa olivacea. Sie wird für das Biomonitoring in verschmutzten Gewässern verwendet. Ihre Larve zeichnet sich durch eine Art „langen Bart“ aus, der an Schnurrhaare von Katzen erinnert.

Podonominae

Die Unterfamilie Podonominae ist eine sehr kleine Unterfamilie mit weniger als 200 Arten. In Deutschland kommen nur fünf Arten aus drei Gattungen vor. Sie leben hauptsächlich in feuchten Moosen kleiner Gebirgs- oder Gletscherbäche und sind vermutlich Eiszeitrelikte. Die Unterfamilie ist bekannt für ihre Anpassungen an sehr kalte Gewässer, die auch nur zeitweise bestehen (temporäre Habitate) [3, 4, 17].

Beispiele:

  • Podonomus: Eine Gattung, deren Arten in kalten Bergbächen und temporären Gewässern vorkommen.
  • Parochlus: Eine Gattung, die oft in kalten, temporären Wasserstellen lebt.

Telmatogetoninae

Die Unterfamilie Telmatogetoninae umfasst Arten, die in marinen und brackigen Gewässern leben. Sie leben als sogenannte Minierer, indem sie sich in Algen der Gezeitenzone bohren und das Pflanzengewebe von innen heraus fressen. In Deutschland gibt es lediglich zwei Gattungen, Thalassomya und Telmatogeton, die man fast ausschließlich auf Algenmatten der trockenfallenden Steine der Gezeitenzone der Nord- und Ostseeküste finden kann [3, 4, 18].

Buchomyiinae

Diese Unterfamilie umfasst lediglich eine winzige Gattung, die Buchonomyia. In Europa lebt eine einzige Art, die Buchonomyia thienemanni, die hauptsächlich an Bächen und Flüssen im Übergangsgebiet zwischen Mittelgebirge und Flachland gefunden wurde [3, 4, 19].

Chilenomyiinae

Die Unterfamilie Chilenomyiinae ist eine sehr seltene Unterfamilie, die ausschließlich in den gemäßigten südlichen Zonen zu finden ist. Sie umfasst nur eine rezente (=gegenwärtig lebende) Art aus Chile, die Chilenonmyia paradoxa [2, 3, 20].

Aphroteniinae

Die Unterfamilie Aphroteniinae ist eine kleine und seltene Unterfamilie mit drei rezenten Gattungen der südlichen Hemisphäre: Aphrotenia (mit zwei Arten aus Südafrika), Paraphrotenia (mit zwei Arten aus Chile und Australien) und Aphroteniella (mit auch zwei Arten aus Chile und Australien) [3, 21]

Usambaromyiinae

Diese Unterfamilie umfasst nur eine einzige Art, die Usambaromyia nigrala. Diese Art wurde bisher in Tansania und Chile beschrieben [3, 22].


Literaturverzeichnis

  1. Mauch, E., et al. (2017). Aquatische Diptera-Larven in Mittel-, Nordwest und Nordeuropa. Übersicht über die Formen und ihre Identification. Dinkelscherben.

  2. Ferrington, L.C. (2008). Global diversity of non-biting midges (Chironomidae; Insecta-Diptera) in freshwater. Hydrobiologia, 2008. 595(1): p. 447-455.

  3. Marshall, S.A. (2012). Flies: The Natural History & Diversity of Diptera. Buffalo, New York.

  4. LANUV (2022). Taxonomie für die Praxis: Bestimmungshilfen – Makrozoobenthos (4) Chironomidenlarven. Band 2: Tanypodinae, Diamesinae, Prodiamesinae, Podonominae, Telmatogetinanae, Buchonomyiinae und Tanytarsini. LANUV-Arbeitsblatt 50. Recklingshausen.

  5. Moller Pillot, H.K.M. (2013). Chironomidae Larvae of the Netherlands and Adjacent Lowlands: Biology and Ecology of the Chironomini. 2 ed. 2013, Zeist.

  6. Vallenduuk, H.J. (2019). Chironomini larvae of western European lowlands (Diptera: Chironomidae). Keys with notes to the species. Lauterbornia, 2019. 82.

  7. LANUV (2021). Taxonomie für die Praxis: Bestimmungshilfen – Makrozoobenthos (4) Chironomidenlarven. Band 1: Chironomini. LANUV-Arbeitsblatt 50. Recklingshausen.

  8. Hinton, H.E. (1960). Cryptobiosis in the larva of Polypedilum vanderplanki Hint. (Chironomidae). Journal of Insect Physiology, 5(3): p. 286-300.

  9. Moller Pillot, H.K.M. (2008). Identification and ecology of the genus Smittia Holmgren in the Netherlands (Diptera: Chironomidae). Tijdschrift voor Entomologie. 151.

  10. Moller Pillot, H.K.M. (2014). Chironomidae Larvae, Vol. 3: Orthocladiinae: Biology and Ecology of the Aquatic Orthocladiinae (Chironomidae Larvae: Biology and Ecology of the aquatic Orthocladiinae). Zeist.

  11. Schärer, M. (2007). Long-range dispersal possibilities via sea turtle – A case for Clunio and Pontomyia (Diptera: Chironomidae) in Puerto Rico. Entomological News,118: p. 273-277.

  12. LANUV (2023). Taxonomie für die Praxis: Bestimmungshilfen – Makrozoobenthos (4) Chironomidenlarven. Band 3: Orthocladiinae. LANUV-Arbeitsblatt 50. Recklingshausen.

  13. Schiffels, S. (2009). Commensal and parasitic Chironomidae. Lauterbornia, 2009. 68: p. 9 -33.

  14. Mulligan, R.A., Parikh, S.J. and Tjeerdema, R.S.  (2015). Abiotic partitioning of clothianidin under simulated rice field conditions. Pest Management Science, 71(10): p. 1419-1424.

  15. Vallenduuk, H.J. and Moller Pillot, H.K.M. (2013). Chironomidae Larvae: General ecology and Tanypodinae. 2 ed. 2013, Zeist.

  16. Dvorak, M., et al. (2024). Molecular and morphological characterisation of larvae of the genus Diamesa Meigen, 1835 (Diptera: Chironomidae) in Alpine streams (Ötztal Alps, Austria). PLOS ONE, 2024. 19(2): p. e0298367.

  17. Thienemann, A. (1937). Podonominae, eine neue Unterfamilie der Chironomiden. (Chironomidcn aus Lappland I.). Internationale Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie, 35(1-6): p. 65-112.

  18. Neumann, D. (1976). Adaptations of Chironomids to Intertidal Environments. Annual Review of Entomology, 21: p. 387-414.

  19. Baranov, V., Góral, T., and Ross, A. (2017).  A new genus of Buchonomyiinae (Diptera, Chironomidae) from Upper Cretaceous Burmese amber, with the phylogeny of the subfamily revisited. Cretaceous Research, 79: p. 146-152.

  20. Brundin, L. (1983). Chilenomyia paradoxa gen. n., sp. n. and Chilenomyiinae, a new subfamily among the Chironomidae (Diptera). Insect Systematics & Evolution, 14(1): p. 33-45.

  21. Brundin, L. (1976). A Neocomian Chironomid and Podonominae-Aphroteniinae (Diptera) in the Light of Phylogenetics and Biogeography. Zoologica Scripta, 5(1-4): p. 139-160.

  22. Andersen, T. and Sæther, O. (1994). Usambaromyia nigrala gen. n., sp. n., and Usambaromyiinae, a New Subfamily among the Chironomidae (Diptera). Aquatic Insects,16: p. 21-29.

  23. Sæther, O. (2000). Phylogeny of the subfamilies of Chironomidae (Diptera). Systematic Entomology. 25. p. 393-403.